Zitat:
“Die wirkliche Ursache meines Debakels ist jedoch auf andere Gründe zurückzuführen. Der Grundfehler besteht darin, das im Zoohandel nur voll ausgewachsene, und damit voll ausgefärbte, Exemplare gut verkaufen lassen.
...Erwachsene Tiere sind aber nun mal stressanfälliger und schwieriger in der Eingewöhnung. Hinzu kommt, dass gerade der Zwergfadenfisch ein echter Saisonfisch zu sein scheint und als erwachsenes Exemplar in der Natur kaum eine Lebenserwartung von mehr als 3 Monaten hat, sie dürfte durschnittlich sogar wesentlich kürzer sein.
...Der Schlüssel zum Verständnis der Lebensgeschichte von Colisa lalia liegt im Verständnis der jahreszeitlichen Temperaturdifferenzen und der Wasserstandsschwankungen, mit denen der Zwergfadenfisch in der Natur konfrontiert wird.
Im wesentlichen kommt er in Bengalen vor. Das Gebiet umfasst den heutigen indischen Bundesstaat West- Bengalen und den selbständigen Staat Bangladesch.
Bestimmt wird Bengalen von zwei gewaltigen Flüssen, vom Ganges und vom Brahmaputra.
...Vor allem in den Flachlandteilen Bengalens kommt es ... oft zu gewaltigen Überschwemmungen, ...
...Im Sommer sind es die heftigen Monsunniederschläge, die die Flüsse anschwellen lassen, im Frühjahr das Schmelzwasser vom Himalaya.
Besonders letzteres Ereignis führt zu oft dramatischen Temperaturabsenkungen des Wassers. Im oberen Brahmaputra- Einzug, wo ich Colisa lalia und C. bejeus fangen konnte, sinkt in dieser Zeit die Wassertemperatur auf ca. 14 °C ab, der Pegel des Tista (eine Brahmaputra- Zuflusses, in dieser Gegend, dem nördlichen Bengalen) steigt um 2 bis 4 m an – mit entsprechender Überflutung der an das Flussbett angrenzenden Ländereien. Selbst in Kalkutta, am unteren Ganges gelegen und Heimat jenes Zwergfadenfisch- Stammes den wir in unseren Aquarien pflegen, sinken die Wassertemperaturen nachts im Winter gelegentlich auf bis zu 16 °C ab.
Wie gehen die Fadenfische mit diesen periodischen dramatischen Veränderungen ihrer Umwelt um? Die Antwort lautet wohl: generationsweise gar nicht. Sie sterben.
Vermutlich sind alle Colisa- Arten, ähnlich wie viele Killifische, Saisonfische.
...(Im Gegensatz zu den Killifischen) überstehen die Colisa- Arten wohl als Jungfische die periodisch über sie hereinbrechenden Umweltkatastrophen.
Für die erwachsenen Fadenfische ist vor allem die starke Temperaturabsenkung ein Problem.
...Hinzu kommt, dass erwachsene Fadenfische ausschließlich die Fortpflanzung im Fokus haben. Sie gelten daher, zurecht, als ziemlich einfach zu vermehren.
Sobald die Wassertemperatur über 26 °C steigt sind gesunde Fadenfische kaum davon abzuhalten, sich zu vermehren. In der Natur stecken die Männchen alle verfügbare Energie in das Fortpflanzungsgeschehen.
...Im Oktober 2000 fing ich im Bezirk Coochebar, ...auch einige männliche Colisa lalia. Das Wasser war sehr warm, etwa 32 °C, und schlammig. Am Boden des Gewässers wuchsen Vallisneria- Rasen in dichten Beständen. Die Zwergfadenfische befanden sich in einem erbärmlichen Zustand, alle hatten Wunden und eingerissene Flossen. Die Wunden waren mit Pilzen (Saprolegnia)
infiziert, die wattebauschartige Ausmaße angenommen hatten. Keines der Tiere konnte ich am Leben erhalten. Meines Erachtens waren die Tiere am Ende der Fortpflanzungsperiode und einfach ausgebrannt. Wie so oft fand ich keine Weibchen.
Und damit wären wir beim nächstenerstaunlichen Phänomen wildlebender Colisa. Man fängt fast ausschließlich Männchen und diese in oft hohen Bestandsdichten....
Ich habe zur Zeit folgende Arbeitsthesen entwickelt: Mir scheint, dass Colisa lalia zwei Generationen pro Jahr hervorbringt. Die erste Generation entsteht aus Tieren des Vorjahres, die nach den Winterschmelzen in die überfluteten Gebiete einwandert. Die Jungen dieser Tiere werden schnell geschlechtsreif und können die Monsunüberschwemmungen bereits nutzen, um eine weitere Generation von Zwergfadenfischen zu erzeugen. Mit den zurückweichenden Fluten werden diese noch jungen Tiere in die Flüsse und großen Seen zurückgedrängt, wo sie als Jungtiere überwintern, um im nächsten Jahr zur Schneeschmelze zur Stelle zu sein.
Die jeweils kräftigsten Männchen können ein Revier besetzen, die übrigen schließen sich zu Junggesellenschwärmen zusammen. Die Weibchen hingegen leben eher solitär und suchen nur, wenn sie laichreif sind, ein Männchenrevier auf und laichen dort ab. Anders als im Aquarium brütet ein Colisa- Männchen in der Natur wahrscheinlich so lange es in der Lage ist, sein Nest aufrechtzuerhalten, und erbrütet darin Eier und Jungtiere verschiedener Weibchen....
...eine Lehre müssen Aquarianer aus all dem oben gesagten ziehen: Wer langfristig Zwergfadenfische in seinen Aquarien schwimmen haben will, muss selbst züchten, daran führt kein Weg vorbei. Wenn ihnen die prachtvollen XXL Tier im Zoohandel gut gefallen und sie nicht züchten möchten, so müssen Sie sich damit abfinden, dass diese Fische nur eine relativ kurze Zeit ihr Aquarium beleben werden. Ich persönlich finde es durchaus nicht unethisch, Zwergfadenfische als kurzlebige, dekorative Elemente, als reine Zierfische also, einzusetzen. Nur sollten folgende Grundvoraussetzungen gegeben sein: Ein Aquarium für Zwergfadenfische muss reich strukturiert sein, es sollte über eine dichte Bepflanzung verfügen und nur mit wirklich friedlichen Fischen besetzt sein. Sie sollten außerdem kein zu kleines Aquarium wählen, um gleich mehrere Paare einsetzen zu können. Dann können sich nämlich die kleinen Temperamentbolzen wirklich ausleben, sie fechten Imponierkämpfe aus, balzen und führen ein, wenngleich kurzes, so doch naturgemäßes Leben. Auch wenn es die Lebenserwartung der Tiere weiter senkt: Erwachsene Colisa lalia brauchen es warm, 28 °C sollte man ihnen bieten.
Anders sieht die Pflege eventuell selbst gezüchteter Tiere aus: Jungtiere sind Schwarmfische, die man bei Temperaturen von 18 bis 22 °C ...pflegt.“
Ich möchte nicht verschweigen, dass von mir adult gefangene und mitgebrachte C. lalia im Aquarium meines Vereinkollegen Lothar Schmidt, der ein sehr gepflegtes und schwach besetztes Pflanzenbecken betreibt, immerhin drei Jahre lebten. Allerdings zeigten die Tiere nur im ersten Jahr Fortpflanzungsaktivitäten.“