Wasserchemie und Co. - einige Zusammenhänge

Henny

Mitglied
Hallo Leute,

dieser Thread hat seinen Anfang im Beginner Forum in dem Thread 'Filterreinigung' genommen. Dort hätte die Thematik aber zu weit geführt, deswegen schreibe ich hier weiter.
Mir geht es in diesem Thread darum, dass ich einige grundlegende chemische Zusammenhänge in der Aquaristik richtig verstehen möchte, zum einen einfach aus Interesse, zum anderen, um bei auftretenden Problemen sinnvoll analysieren zu können.

Einige von Euch haben mir schon wertvolle Erklärungen gegeben. Ich habe nun mein Buch 'Das Aquarium von A-Z' von Schaefer/Kasselmann/Raschke wieder unter die Lupe genommen und mir das hier im Forum empfohlene Buch 'Aquarienwasser' von Hanns-J. Krause zugelegt. Der gute alte 'Mergus' wird diesbezüglich auch wieder belesen.

Eigentlich wollte ich diesen Thread erst beginnen, wenn ich meine, die Zusammenhänge gut im Griff zu haben. Aber da es so viel zu lesen und zu verstehen gibt (und ich nebenbei auch noch anderes zu tun habe :wink: ), würde es dann wohl bis Weihnachten dauern. Deswegen lege ich einfach mal los und freue mich auf Eure fachkundige Kritik.

Los geht's:

Im Aquarium entstehen organische Verbindungen aus toten Kleinstlebewesen, abgestorbenen Pflanzenteilen, Futterresten sowie Ausscheidungen von Fischen und Wirbellosen. Unter Bakterienhilfe wird der zuvor organisch gebundene Stickstoff in anorganischer Form als Ammonium (NH4) freigesetzt. Ammonium ist eigentlich harmlos und für die Pflanzen eine wertvolle Stickstoffquelle.

Nun kommt aber der PH-Wert zum Tragen. Bei einem PH-Wert unter 7 überwiegen die Säuremoleküle (Merkmal: H-Ionen), bei einem PH-Wert über 7 überwiegen die Basemoleküle (Merkmal: OH-Ionen). Bei genau PH 7 befinden sich Säuren und Basen/Laugen mengenmäßig im Gleichgewicht.
Je höher der PH-Wert ist, desto höher ist das Angebot an OH-Ionen. Wenn Ammonium mit OH-Ionen reagiert, dann entsteht das giftige Gas 'Ammoniak' (NH3). Je höher also der PH-Wert ist, desto höher wird der Anteil an Ammoniak. Wird der PH-Wert gesenkt, so wandeln sich Teile des Ammoniaks wieder in Ammonium zurück. Das ist beliebig oft wiederholbar und verläuft ohne Bakterienhilfe.
Auch Fische verstoffwechseln organische Substanzen. Der Blut-PH von Fischen liegt bei etwa 7,3 (das habe ich von Martin Krüger übernommen). Fische scheiden folglich Ammonium/Ammoniak aus. Der PH-Wert des Wassers entscheidet weiter, in welchen Konzentrationen diese Ausscheidungen weiter vorliegen.
In gängigen Testverfahren wird immer die Gesamtmenge von Ammonium/Ammoniak in Milligramm pro Liter ermittelt. Je nach bestehendem PH-Wert, kann man tabellarisch ablesen, wie hoch der Anteil des giftigen Ammoniaks ist. Auch die Wassertemperatur spielt eine Rolle. Je höher die Temperatur ist, desto höher ist auch der Anteil des Ammoniaks.

(@ Martin, jetzt habe ich zumindest die Tabellen auf Andy's Seite begriffen, die Formeln darunter erschließen sich mir noch nicht so ganz (bis gar nicht :? ).

Ammonium, das nicht von den Pflanzen aufgenommen wurde, und Ammoniak wird in eingefahrenen Aquarien durch Bakterien schnell über das giftige Nitrit zu dem erst in hohen Konzentrationen giftigen Nitrat weiteroxidiert.

Ist mein Geschreibsel so weit richtig?

Direkte Fragen habe ich aber auch noch:

Martin Krüger hatte am 13.04.2011 geschrieben:
"Wenn man Süßwasser-Fische füttert dann müssen die etwas Ausscheiden.
Über die Kiemen wird CO2 ausgeatmet und umgesetztes Futter als Ammonium/Ammoniak ans Wasser abgegeben.
Alleine der pH Wert das Wassers bestimmt ob das nun Ammonium oder Ammoniak ist.
Der Blut pH des Fisches liegt bei etwa 7,3."

Hanns-J. Krause schreibt, dass Fische über ihre Kiemen täglich etwa 0,03 % ihres Gewichts an Ammoniak ausscheiden.

Wieso kommen diese Ausscheidungen über die Kiemen (und nicht aus dem After)? Weil Ammoniak ein Gas ist? Ammonium ist doch kein Gas, oder? Ich merke gerade, da habe ich noch echt Informationsbedarf!

Martin Krüger hatte am 13.04. weiter geschrieben:
"Das Erste was also entsteht ist NH3/NH4.
Für die Entstehung von NH3/NH4 sind ausschließlich Fische und Wirbellose zuständig.
Bakterien sind dafür im aquaristischen Fall ohne Belang.
NH3/NH4 wird zu Nitrit oxidiert.
Anschliessend Nitrit zu Nitrat."


Habe ich da was grundsätzlich falsch verstanden (siehe oben)? Wie sollte den dann in der Einlaufphase überhaupt Ammonium/Ammoniak entstehen und damit auch der Nitritifikationsprozess beginnen, wo in dieser Zeit noch gar keine Tiere im Becken sind?

Ich freue mich auf Eure kompetenten Antworten und Verbesserungsvorschläge.

Weiterhin schöne und sonnige Ostertage wünscht Euch
Henny
 
Henny schrieb:
Martin Krüger hatte am 13.04. weiter geschrieben:
"Das Erste was also entsteht ist NH3/NH4.
Für die Entstehung von NH3/NH4 sind ausschließlich Fische und Wirbellose zuständig.
Bakterien sind dafür im aquaristischen Fall ohne Belang.
NH3/NH4 wird zu Nitrit oxidiert.
Anschliessend Nitrit zu Nitrat."

Habe ich da was grundsätzlich falsch verstanden (siehe oben)? Wie sollte den dann in der Einlaufphase überhaupt Ammonium/Ammoniak entstehen und damit auch der Nitritifikationsprozess beginnen, wo in dieser Zeit noch gar keine Tiere im Becken sind?

Im eingelaufenen Becken sind fast ausschließlich Fische für die ammoniumproduktion verantwortlich. In einem leeren Becken werden aber auch abgestorbene Pflanzenteile zersetzt, das übernehmen Bakterien, Pantoffeltierchen, Amöben usw.

Henny schrieb:
Wieso kommen diese Ausscheidungen über die Kiemen (und nicht aus dem After)? Weil Ammoniak ein Gas ist? Ammonium ist doch kein Gas, oder? Ich merke gerade, da habe ich noch echt Informationsbedarf!

Wenn die Fische wasserlösliche Substanzen im Blut haben, kann bei bestimmten Molekülgrößen über die Kiemen ein Konzentrationsausgleich mit dem Wasser stattfinden. Hat der Fisch mehr Ammoniummim Blut, als im umgebenden Wasser gelöst ist (in mg/l, also verhältnismäßig), dann wird das Konzentrationsgefälle ausgeglichen. Bestimmt wird auch über die Nieren Ammonium ausgeschieden, das funktioniert aber weit langsamer. Ammonium, das im Darm entsteht, auch wieder durch Bakterien, wird auch zu einem großen Teil durch den Darm ausgeschieden. Nicht über die Kiemen ausgeschieden werden hochmolekulare Verbindungen, wie z.B. Proteine oder Ester. Diese können aufgrund ihrer Größe nur über die Nieren ausgeschieden werden, und werden dann durch verschiedene Kleinstlebewesen im Aquarium weiterverarbeitet, meist auch zu Ammonium.

Liebe Grüße, Max
 
Hallo,

organische stickstoffhaltige Stoffe, z.B. Pflanzenreste werden von Mikroorganismen und Bakterien zersetzt und mineralisiert. Dabei entsteht dann auch Ammonium/Ammoniak, das in der Folge weiter abgebaut wird zu Nitrit und schliesslich Nitrat.
Dieser Prozess über die Mikrorganismen dauert aber einige Zeit, da sich in einem frisch aufgesetzten Aquarium diese Mikroorganismen erst in ausreichender Menge etablieren müssen. Erst dann kan die Kette der Nitrifikanten starten. Wobei ebenfalls klar sein sollte, dass die Nitrifikanten mit den Pflanzen um das Ammonium/Ammoniak konkurrieren.
Wenn ich ein Aquarium von Anfang an besetze, so führe ich dem System über die Fische sofort Ammonium/Ammoniak zu. Die Nitrifikanten kommen also viel früher zum Start! Folglich etabliert sich die Stickstoffabbaukette auch schneller und evtll effektiver.
Natürlich ist anfangs ein moderater Besatz erforderlich um das System und die Fische nicht zu stark mit dem giftigen Ammoniak und Nitrit zu belasten.

Gruß Knut
 

Ebs

Mitglied
Hallo,

Knut schrieb:
Wenn ich ein Aquarium von Anfang an besetze, so führe ich dem System über die Fische sofort Ammonium/Ammoniak zu. Die Nitrifikanten kommen also viel früher zum Start! Folglich etabliert sich die Stickstoffabbaukette auch schneller und evtll effektiver.
Natürlich ist anfangs ein moderater Besatz erforderlich um das System und die Fische nicht zu stark mit dem giftigen Ammoniak und Nitrit zu belasten.

Und das ist übrigens auch das ganze "Geheimnis" des Einfahrens eines neuen Aquariums sofort mit einem moderaten Fischbesatz ohne wochenlanges Abwarten. Eine Variante, die viele bevorzugen (auch ich).
Aber das nur nebenbei.

Gruß Ebs
 

elchi07

Moderator
Teammitglied
Hallo,
Wie sollte den dann in der Einlaufphase überhaupt Ammonium/Ammoniak entstehen und damit auch der Nitritifikationsprozess beginnen, wo in dieser Zeit noch gar keine Tiere im Becken sind?
und deshalb ist das Anfüttern eines frischen AQ mit Futterflocken auch wenig sinnvoll.
Daher kann man auch gleich moderat besetzen um die Nitrifizierung in Gang zu bringen. Wenn man die Möglichkeit hat kann man mit altem Filtermaterial animpfen und damit sofort die nitrifizierenden Bakterien ins AQ bringen.

Den Eimer zum Wasserwechsel sollte man aber trotzdem parat haben und in Bereitschaft stehen.

Ein wesentlicher Vorteil einer Einlaufphase ist m.M.n. die Möglichkeit, dass die Pflanzen anwurzeln, bevor die Fische Einzug halten. Gerade bei bodenbewohnenden Arten kann es zum "Ausbuddeln" oder "Ausreißen" der Pflanzen kommen. Mit einer Einlaufphase haben die Pflanzen einen gewissen Vorsprung.

Viele Grüße
Roman
 

Henny

Mitglied
Hallo Ihr,

ich danke Euch sehr für Eure aufschlussreichen und zielgerichteten Beiträge. So macht das richtig Spaß! :D

Zwei Fragen dazu fallen mir noch spontan ein:

1. Nehmen Pflanzen auch Ammoniak auf oder nur Ammonium?
2. Woher kommen die Microorganismen/Bakterien in einem neu aufgesetzten AQ? Sind sie im Leitungswasser vorhanden und/oder haften sie an den eingesetzten Pflanzen?

Viele Grüße von Henny
 
Henny schrieb:
1. Nehmen Pflanzen auch Ammoniak auf oder nur Ammonium?
2. Woher kommen die Microorganismen/Bakterien in einem neu aufgesetzten AQ? Sind sie im Leitungswasser vorhanden und/oder haften sie an den eingesetzten Pflanzen?

1) Ammonium (Landpflanzen ebenfalls)

2) Die Mikroroganismen kommen aus dem Wasser in äußerst geringer Zahl oder haften am Pflanzen, Bodengrund oder Holzstücken an.
Alternativ werden die gezielt dem Becken zugeführt, das nennt man "Animpfen". Das kann auf verschiedene Weise geschehen:
- Kauf entsprechender Bakterien-Präparate
- Animpfen mit Filterschlamm aus einem anderen Becken
- Blumenerde (nein, nicht die "fette" aus einer Tüte sondern "das schwarze" aus einem Freilandbeet / Garten / Park)

Das übermässige Kochen / schrubben / sonstwie von EInrichtungsgegenständen ist kontraporduktiv für einen guten Bakterienstart.


ZU weiter oben:
Fische funktionieren nur ähnlich wie Säugetiere, im Detail durchaus anders. Ein wesentlicher Stoffaustausch erfolgt bei Fischen durch die gut durchbluteten und gut durchströmten Kiemen. Sie sind Atmungs- und Ausscheidungsorgan zugleich.
 
Henny schrieb:
Hallo Ihr,

ich danke Euch sehr für Eure aufschlussreichen und zielgerichteten Beiträge. So macht das richtig Spaß! :D

Zwei Fragen dazu fallen mir noch spontan ein:

1. Nehmen Pflanzen auch Ammoniak auf oder nur Ammonium?
2. Woher kommen die Microorganismen/Bakterien in einem neu aufgesetzten AQ? Sind sie im Leitungswasser vorhanden und/oder haften sie an den eingesetzten Pflanzen?

Viele Grüße von Henny

Hi Henny!
Zu 1. empfehle ich dir folgendes mal durchzulesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Assimilation_(Biologie)#Stickstoff-Assimilation_bei_Pflanzen
Da findest du nicht nur die Info, dass Ammonium und Nitrat verarbeitet werden können, sondern auch, wie das funktioniert :)

edit: außerdem findest du da die info, dass einige pflanzen auch in der lage sind ammoniak zu nutzen ;)
 
Hallo Henny

Vielleicht kann ich bei der Physiologie etwas helfen..
Bei der ganzen Stickstoffabgabe von Wirbeltieren geht es vorrangig darum Zellgifte (Ammoniak) loszuwerden-
Hat man also- wie ein Fisch- viel Wasser zur Verfügung, kann man einfach das Ammoniak direkt (weil wasserlösliche Substanz) über die Kiemen abgeben. Lebt man aber an Land, hat man meist ein Wassermangel-Problem, und möchte daher die Ausscheidung von H2O minimieren, die Ausscheidung von Stickstoff maximieren. Wir scheiden Harnstoff aus, der schonmal die dopplete Ladung N-Atome enthält (die Nieren "dicken ein") und ungiftig ist. Vögel treiben das ganze noch einen Schritt weiter und scheiden Harnsäure aus, die nocheinmal doppelt so effektiv ist (4xN).

Pflanzen nehmen Ammonium (NH4+) durch eine Art Ionentauscher auf. (Übrigens auch alle anderen Nährstoffe wie Phosphat+, Eisen(2+,3+), Kalium+..etc.- Nur nicht CO2 und O2, die werden gleich in speziellen Organelln chemisch "verreagiert".) Was bleibt ihnen auch anderes Übrig- sie können ja nicht das Maul aufmachen und was reinschieben.
Cyanobakterien oder "Blaualgen" sin nochmal spezieller, weil sie einfach eine Abkürzung durch den ganzen Stickstoffkreislauf machen, und direkt N2 (70% der Atmosphäre)in Ammonium umwandeln können.

... usw...usw..:eek:)

Gruß
Franzi
 
Oben